Der alte Hall - ... oh ja die Phantasie

Kommentare und Links
 

Es war bei einer Fortbildungsveranstaltung des VERBANDES DEUTSCHER SCHULMUSIKERZIEHER bei der Landesmusikakademie in Schlitz.
Meine Tochter - ebenfalls Musiklehrerin - und ich nahmen an dem Kurs "Singen mit Hand und Fuß"(Gerhart Roth) teil.
Wir waren frühzeitig an Ort und Stelle und konnten uns gründlich in der Lokalität, dem Schloss Hallenburg, umsehen. Mich hat das Anwesen mit seiner rustikalen Würde sehr beeindruckt: das weitläuige Treppenhaus mit den leicht ausgetretenen Stufen, die hohen Räume, die großzügigen Flure, die kühlen Kellerräume, die dicken Fundamentmauern . Besonders der Blick aus dem Fenster im ersten Stock war es wohl, der meine Phantasie in Gang setzte.
Gegenüber kann man nämlich ehemalige Wirtschaftsgebäude in einem offenen Karree sehen,  halb verfallene Teile, deren Renovierung bevorsteht, kräftig kontrastierend zu dem bunt herausgeputzen Mittelgebäude mit einem Dachreiter, der dem Schloss zugewandt das glänzende Ziffernblatt einer - offensichtlich funktionierenden - Turmuhr zeigt.
Und schon füllte sich das Ganze mit Leben. Und im Verlauf der Fortbildung, auf der Heimfahrt und lange danach, eigentlich bis heute, stellte sich das eine oder andere Bild ein, die eine oder andere Begebenheit, der eine oder andere Zusammenhang.
Aus der Perspektive eines Einheimischen, der "gut" über alles Bescheid weiß, der alle Geschichten um das Schloss und seine Bewohner - teils aus Überlieferung - kennt, kam ich ins Erzählen über den "alten Hall".
Es geht los. Und Vorsicht: Phantasie!!


3.
Der alte Hall besaß ein Taschenmesser. Ein einfaches Werkzeug mit einer einzelnen Klinge. Es war nicht groß, der alte Hall konnte es leicht vollständig in seiner Hand verbergen, wenn er eine Faust machte. An der Unterseite hatte es einen kleinen Hebel, den man umlegen konnte, um die Klinge zu arretieren: ein fest stehendes Messer. Wie eine gefährliche Waffe sah es aber nicht aus, dafür war es mit seinen knapp 8cm Klingenlänge einfach zu klein. Zog man das Hebelchen etwas zur Seite, verschwand die Klinge im Holzgriff. Während der Griff schon recht abgenutzt und zerschabt war, hatten die langen Jahre und die in dieser Zeit damit verrichteten vielfältigen Arbeiten der elegant geformten Klinge nichts anhaben können. Die Klinge war wie neu und scharf wie ein Skalpell.
Das Messer war ein Erbstück, das sein Großvater vom Kaiser für besondere Verdienste um die Pferdezucht bekommen hatte. Es hatte dann lange in einer staubigen Vitrine auf dem Dachboden gelegen, bis der alte Hall es als Junge beim Spielen fand. Niemand konnte etwas damit anfangen, und so durfte er das unscheinbare Taschenmesser behalten. Es hatte wirklich nichts besonderes, außer einer kleinen in die Klinge eingravierten Krone und dem Schriftzug: Solingen. Sehr viel später erst erkannt der alte Hall den Wert, als zufällig bei einem seiner Pferdehändler, der in allen Handelsdingen gut Bescheid wusste, die Sprache darauf kam. Es handelte sich bei dem Messer nämlich um das Ergebnis militärischer Forschung. Bei Versuchen, besonders haltbare Säbel für die Offiziere seiner Majestät herzustellen, hatte man einen bisher unbekannten Stahl gefunden. Diesen hatte man noch aufwändig geschmiedet, sodass selbst stärkste Beanspruchungen: Druck, Zug, Schlag und Witterung den Klingen nichts anhaben konnten. Die Herstellung des Materials und somit die Herstellung der Offizierssäbel war aber so teuer, dass diese Waffen nicht eingeführt wurden. Um die Produzenten in Solingen, die sich sogar in Japan kundig gemacht hatten, etwas zu entschädigen, ließ der Kaiser aus diesem besonderen Stahl 500 Taschenmesser fertigen, die dann als repräsentative Geschenke für verdienstvolle Untertanen gedacht waren. Die "kleinen scharfen Wunder", wie diese Messer etwas verächtlich genannt wurden, kamen bei den Beschenkten wegen ihres bescheidenen Äußeren nicht besonders gut an. Und so verschwand auch das kaiserliche Geschenk, das der Großvater erhalten hatte, auf dem Dachboden von Schloss Hallenburg.
Dem alten Hall versagte das Werkzeug seinen Dienst nie. Hatte er bei der Jagd gerade noch damit einen Rehbock waidmännisch aufgebrochen, hielt er es - im frischen Bachwasser kurz abgewaschen - beim Schüsseltreiben wieder in der Hand und hatte ein Stück Hasenbraten damit aufgespießt. Seine Jagdgenossen, die prächtige mit Schildpatt, Perlmutt und Hirschhorn verzierte Dolche bei der Jagd mit sich führten, belächelten das Klappmesser vom alten Hall. Aber insgeheim wunderten sie sich schon darüber, dass es einfach unverwüstlich war. Sie hatten schon wieder eine neue Jagdwaffe kaufen müssen, weil die Klinge gebrochen, die Schneide stumpf oder der Griff locker war. Und sie brauchten den alten Hall nicht zu fragen: Haben Sie Ihr Messer noch? Sie sahen es ja, wie es Jahr um Jahr seinem Herrn diente.

(wird in unregelmäßigen Zeitabständen fortgesetzt)


 

 

 

 

"Phantasie ist wichtiger als alles Wissen, denn Wissen ist begrenzt" - Albert Einstein

 
  [HOME] www.wolfs-site.de