Der alte Hall - ... oh ja die Phantasie

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Es war bei einer Fortbildungsveranstaltung des VERBANDES DEUTSCHER SCHULMUSIKERZIEHER bei der Landesmusikakademie in Schlitz.
Meine Tochter - ebenfalls Musiklehrerin - und ich nahmen an dem Kurs "Singen mit Hand und Fuß"(Gerhart Roth) teil.
Wir waren frühzeitig an Ort und Stelle und konnten uns gründlich in der Lokalität, dem Schloss Hallenburg, umsehen. Mich hat das Anwesen mit seiner rustikalen Würde sehr beeindruckt: das weitläuige Treppenhaus mit den leicht ausgetretenen Stufen, die hohen Räume, die großzügigen Flure, die kühlen Kellerräume, die dicken Fundamentmauern . Besonders der Blick aus dem Fenster im ersten Stock war es wohl, der meine Phantasie in Gang setzte.
Gegenüber kann man nämlich ehemalige Wirtschaftsgebäude in einem offenen Karree sehen,  halb verfallene Teile, deren Renovierung bevorsteht, kräftig kontrastierend zu dem bunt herausgeputzen Mittelgebäude mit einem Dachreiter, der dem Schloss zugewandt das glänzende Ziffernblatt einer - offensichtlich funktionierenden - Turmuhr zeigt.
Und schon füllte sich das Ganze mit Leben. Und im Verlauf der Fortbildung, auf der Heimfahrt und lange danach, eigentlich bis heute, stellte sich das eine oder andere Bild ein, die eine oder andere Begebenheit, der eine oder andere Zusammenhang.
Aus der Perspektive eines Einheimischen, der "gut" über alles Bescheid weiß, der alle Geschichten um das Schloss und seine Bewohner - teils aus Überlieferung - kennt, kam ich ins Erzählen über den "alten Hall".
Es geht los. Und Vorsicht: Phantasie!!


5.
Der alte Hall hatte nie Probleme mit seiner Garderobe. Er war stets elegant und zweckmäßig gekleidet, wobei die Zweckmäßigkeit die größere Bedeutung hatte. Er trug als Jagdfreund gerne Loden und grobe Stoffe. Während er Jacken in verschiedene Farbtönen hatte - von grau zu braun und dunklem Grün mit teils farblich abgesetzten Revers - gab es bei den Hosen nur helles und dunkles Grau. Eine Ausnahme bildeten die Reithosen mit eingearbeitetem Lederteil. Diese gab es in braun und schwarz. Meist trug er dazu Schaftstiefel bzw. schwarze Schuhe mit Gamaschen, die hinten mit schmalen Lederriemchen gebunden wurden.
Da der alte Hall sich nicht nur mit den Verwaltungsarbeiten auf seinem Gut befasste, sondern auch über die praktischen Dinge stets informiert sein wollte, musste er auch in den Stallungen und draußen auf den Pferdekoppeln nach dem Rechten sehen; so überwachte er z.B. das Training besonders begabter Pferde persönlich. Eine zweckmäßige Kleidung musste dann robust sein und auch etwas Schmutz vertragen können. Außerdem musste sie seinem Träger noch genug Bewegungsfreiheit lassen, damit er auch einmal schnell auf ein Pferd steigen konnte, wenn er selbst beim Training eingreifen wollte.
Zu gesellschaftlichen Ereignissen kleidete er sich ähnlich. Das Schuhwerk war allerdings weniger grob und die Hosen hatten eine sehr sorgfältige Bügelfalte. Für besonders festliche Gelegenheiten besaß er auch einen eleganten Frack mit Weste und Schärpe, natürlich die dazu passende Hose. In diesem Anzug trat er so selten auf, dass manche Hausangestellte ihn in dieser Garderobe noch nie gesehen hatten. Das mag auch daran gelegen haben, dass der alte Hall die Veranstaltungen, die solche Kleidung erfordern, gerne mied. Auf Hallenburg selbst gab es dergleichen erst, als seine zweite Frau solche veranstaltete - für diese zu selten, nach seinem Dafürhalten viel zu häufig.
Während die Oberbekleidung in den umrissenen Grenzen noch variiert werden konnte, gab es eine Eigenheit, die eine absolut unveränderbare Konstanz aufwies. Es betraf seine Unterbekleidung, genauer: seine Unterhosen. Es waren schwer zu beschreibende Kleidungsstücke, die man bei keinem noch so gut sortierten Händler finden konnte: Der Schnitt ganz außergewöhnlich, ein Kompromiss von Slip und Shorts in der Passform; die Länge irgendwie zwischen halb und dreiviertel; der Stoff irgendetwas Seidiges, das zugleich wie Wolle wärmte. Einzig Unterhosen dieser Art trug er täglich, im Sommer und im Winter, bei der Jagd, im Büro, bei Gesellschaften. Sogar zu seiner Nachtgewandung gehörte eine solche Unterhose. Eigentlich wusste keiner so richtig, woher diese eigentümliche Kleidungsstücke kamen.
Ein einziges Mal hatte er in lustiger Runde bei seinen Jagdgenossen davon erzählt (eigentlich ist es eine eigene Geschichte):
In seiner Jugend wollte der alte Hall Schloss Hallenburg verlassen und zur See fahren. Er wollte das Gut verlassen und hinaus in die Welt ziehen. Er hatte schon immer den Wunsch gehabt, fremde Länder zu sehen und Abenteuer zu erleben, wie er sie aus der Lektüre zahlreicher Bücher kannte. Als kleiner Junge hatte er dem Matrosenanzug, den er damals ständig tragen musste, eine tiefere Bedeutung zugemessen und hatte in der Phantasie oftmals zur Besatzung der Papierschiffchen gehört, die er im nahen Bach und bei Regen in Rinnsalen hatte schwimmen lassen.
Später hatte es auch häufig Konflikte mit seinem Vater gegeben, der von Seefahrt nichts wissen wollte und der ihn in der Rolle des "jungen Herren" sah und ihn darauf vorbereiten wollte. Schließlich drängte jene Hall'sche Beharrlichkeit und Willenskraft, die seit Generationen das Handeln der Hallenbergs bestimmten, zur Tat.
Erst nachdem der jugendliche alte Hall in letzter Minute entdeckt worden war, als er mit einem Packpferd an die Küste aufbrechen wollte, lenkte der Vater ein und erlaubte ihm, für drei Jahre und einen Tag das Gut zu verlassen und bei einem Binnenschiffer auf dem Rhein anzuheuern. Im Rheingau besaßen die Hallenbergs seit vielen Generationen ein kleines Anwesen, den Hallgarten, zu dem auch eine Reblage gehörte. Das kleine Gut, etwas abseits in den Rheinbergen gelegen, sollte Hall als Ausgangsbasis und sichere Rückzugsmöglichkeit dienen.
In St.Goarshausen hat ihn schließlich der holländischer Kapitän van der Damme ohne Einwände aufgenommen, nachdem eine ganze Reihe deutscher Skipper sich gescheut hatten, ihn, einen Adligen, als Schiffsjungen aufzunehmen. Van der Damme transportierte mit seinem Rheinschiff 'Meisje van Limbourg' verschiedene Güter, immer in Holzkisten ohne Aufschrift verpackt und immer irgendwie geheimnisumwittert. Hall sah nie die Ware selbst, und bei den Verhandlungen des Kapitäns mit den Kaufleuten wurde er immer weggeschickt und mit einer Arbeit betraut. Nur einmal - es war wohl ein Handel nicht zur Zufriedenheit ausgegangen - zerbarst eine Kiste, als der Kapitäns ihr zornig einen kräftigen Tritt versetzt hatte.
Der Inhalt: 144 Unterhosen.
Es waren holländische Militärunterhosen, die sich für Truppen in den Tropen genau so eigneten wie für die Soldaten im Mutterland selbst und für Schiffsbesatzungen. Sie hatten
höchste Qualität. Das hatte der alte Hall sofort gesehen. Und als er vom Käptain die barsche Anweisung erhielt: 'Räum den Schiss weg aus mine Oogen!', verstaute er die Kleidungsstücke zunächst in seiner Schlafecke. Den Inhalt schaffte er bei der nächsten Gelegenheit nach Hallgarten. Der Kapitän hatte dies bemerkt und war froh, die für ihn offensichtlich brisante Ware los zu werden, und so musste Hall noch vier weitere Kisten dieser Art 'wegräumen'. Bei dem nächsten Weintransport von Hallgarten nach Schloss Hallenburg befanden sich ein paar Säcke zusätzlich auf dem Wagen. Für sein ganzes Leben war er nun mit feinsten Unterhosen versorgt.
Diese Geschichte - in die ausgelassene Stimmung der Jagdgesellschaft hinein erzählt - kam den anderen so unwahrscheinlich vor, dass sie alle herzlich darüber lachten, die Geschichte selbst aber schnell vergaßen.

(wird in unregelmäßigen Zeitabständen fortgesetzt)


 

 

 

"Phantasie ist wichtiger als alles Wissen, denn Wissen ist begrenzt" - Albert Einstein

 
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